Bestellen Sie online? Womöglich Kleidung? Das gerät ja zunehmend in Verruf, der Umwelt wegen. Was soll ich sagen – ja, ich tue das manchmal. Es ist einfach besser für meine Umwelt. Shopping-Touren durch die Fußgängerzone machen mich grantig und ungeduldig; zu viel Angebot, zu viel Gedränge, zu viel alles. Online geht das bei den einschlägigen Häusern wie Zalando und S.Oliver stressfrei. In die Problemzone kommt man erst, wenn es an der Problemzone nicht passt. Aber lesen Sie selbst…
Lieber Herr S.Oliver,
letztens habe ich eine “Retoure” für Sie fertiggemacht. So nennt man die Rücksendung von Dingen, die man aus welchem Grund auch immer nicht haben will. Retouren sind im Versandhandel enorm populär; jeder achte online-Einkauf geht zurück. Im Bekleidungssektor schätzt man die Quote gar auf 50 Prozent.
Die Gründe liegen auf der Hand. Es ist rundherum komfortabler, sich Pakete zeitsparend nach Hause kommen zu lassen, statt immer wieder in Umkleidekabinen Halt machen zu müssen, in denen man aufgrund der wenig durchdachten Beleuchtung so unvorteilhaft aussieht wie Frankensteins füllige Tochter.
Retoure? Drei Handgriffe reichen
Sieben Teile hatte ich bestellt, fünf davon wollte ich nicht behalten, aus Gründen. Um nun aus meiner Paketsendung eine ordnungsgemäße und kostenlose, wenn auch umweltschädliche “Retoure” zu machen, genügen bei Ihnen, lieber Herr S.Oliver, erfreulich wenige Handgriffe. Man hat lediglich ein Etikett aufzukleben und auf dem Retourenschein bestimmte Ziffern aus einer Liste in entsprechende Kästchen einzutragen. Die Ziffern dienen als Code, weswegen man die Teile zurückgehen lässt. Das sieht dann so aus:
01: zu spät geliefert / Liefertermin nicht eingehalten
02: falscher Artikel geliefert
03: Lieferung nicht vollständig
04: Artikel beschädigt
05: Materialfehler
06: mehrere Farben zur Auswahl bestellt
07: mehrere Größen zur Auswahl bestellt
Nichts davon trifft zu. Meine Lieferung war pünktlich, vollständig und alles in allem makellos. Nur ist das blaue Shirt, das ich zurückschicken will, einfach zu eng und zu kurz. Wo steckt der Code für „ich habe andere Proportionen als das Shirt“? Ah, hier:
08: zu lang / 09: zu kurz / 10: zu weit / 11: zu eng.
Zu kurz, zu eng, ja was zählt denn nun!
Das Shirt ist zu eng und zu kurz. Also trage ich jetzt 11 und 09 ein?
Nicht doch. Vonseiten des Unternehmens wird – das lässt sich aus der knapp bemessenen Kästchengröße ersehen – gewünscht, dass ich mich auf einen Grund beschränke. Aber welcher ist nun der wichtigere?
Ich suche in den FAQs, nichts, kein Hinweis! Und dieses Shirt ist ja nur zu eng und zu kurz – was bitte soll ich bloß tun, wenn es am Busen flattert, am Bauch spannt und mir überdies mit Materialfehler und in einer schaurigen Farbe am Körper klebt, nachdem es auch noch zu spät geliefert wurde? Da werde ich ja nicht die Einzige sein.
In meiner Not, die das Dasein in einem 1.83 langen Körper seit Jahrzehnten mit sich bringt, kreuze ich “zu kurz” an. Das müssen Sie verstehen: Wer als Teenager von Hochwasserhosen traumatisiert worden ist, setzt “zu kurz” grundsätzlich und ausnahmslos auf Platz 1 aller Entsetzlichkeiten. (Das Ausmaß meines Hochwassertraumas lässt sich übrigens daran ermessen, dass ich gelegentlich Hosen in 38er Länge bestelle, nur um mit dem absurden Glücksgefühl durchs Zimmer zu schlurfen: Wie herrlich, ich kann diese Hose nicht kaufen, sie ist zu LANG!)
Foto schön, Realität nur so mittel
Noch vier Teile. Passen tun sie, nur wollen will ich sie nicht; das muss ich jetzt sinnvoll begründen. Es verbleiben folgende Retourengründe:
12: Artikel/ Farbe anders als beschrieben/ abgebildet
13: Material gefällt nicht
14: Qualität entspricht nicht den Erwartungen
15: Sonstiges.
Das war’s. Mehr Gründe, um ein Kleidungsstück NICHT zu kaufen, kann man sich in Rottendorf offenbar nicht vorstellen. Oder will man nicht.
Lieber Herr S.Oliver, haben Sie eigentlich niemals mit einer normalen Frau gesprochen, die sich was zum Anziehen kaufen will? Dann helfe ich Ihnen gern aus: Exakt hier fehlen die wichtigsten, die ausschlaggebenden Gründe, weswegen Frauen Klamotten zurückgehen lassen. Und ich vermute, das Fehlen ist kein Zufall.
Da haben wir zum Beispiel diese hübsche Bluse mit unregelmäßigen roten Klecksen. Sie passt mir und fühlt sich gut an. Nur: Beim Bestellen erweckte die Bluse Assoziationen zu zauberhaft blühendem Klatschmohn. Im wirklichen Leben sehe ich darin aus wie ein Erdbeertörtchen, bei dessen finalem Zubereitungsschritt der Sahnespender explodiert ist.
Dieser Rücksendegrund ist nirgendwo gelistet.
Also ist das im weitesten Sinn eine 12 (“Artikel/ Farbe anders als beschrieben/ abgebildet”)? Nein, ist es nicht. Denn nicht der Artikel ist das Problem, sondern mein Gesamtäußeres reagiert fehlerhaft auf das Kleidungsstück. Hier fehlt eindeutig Ziffer 16: “Sah super aus, bis ich es angezogen habe”.
Was im übrigen auch für die anderen Teile gilt. Ich kreuze mehrmals “Sonstiges” an und bringe das Paket zur Post.
Rücksendung? Alles ist „Sonstiges“
Abends Anruf bei meiner Freundin. “Wenn du was bestellst, und es passt, aber du willst es trotzdem nicht haben: Was wäre der wichtigste Grund?”, frage ich sie.
“Weil’s scheiße aussieht”, sagt sie schlicht, „was denn sonst?“
Ja, was denn sonst. Die sich anschließenden Telefonate mit weiblichen Menschen zwischen 38 und 60 fördern folgende Rücksendegründe zutage:
– Gefiel mir einfach nicht.
– In der Hose hatte ich fette Oberschenkel.
– Die Farbe machte mich gelb im Gesicht.
– Der Stoff kratzte.
– Stand mir nicht.
– Fühlte sich irgendwie glitschig an auf der Haut.
– Mein Hintern sah darin aus wie eine Qualle.
– Markus hat so komisch den Mund verzogen, als ich die Hose anprobierte.
Und wollen Sie wissen, wie der jeweilige Rücksendegrund lautete? Genau. Sonstiges.
Von der Nebensache zur Hauptsache, bitte
Erschüttert erkannte ich die tiefe Wahrheit: Bei Bekleidungsretouren steht “Sonstiges” für nichts Geringeres als die Essenz des Seins. Sämtliche unaussprechlichen Geheimnisse, Eitelkeiten, Schamgefühle, Nöte, Protestgedanken, Frustrationen und Wutimpulse, Sehnsüchte und Befindlichkeiten von Tausenden von Frauen – also das Wichtigste, was es überhaupt gibt: Sie verbergen und subsumieren sich unter “Sonstiges”.
Welch universelles Weltwissen könnten Sie erlangen, lieber Herr S.Oliver, würden Sie in die Erforschung dieses Bereichs mal ein paar Euro investieren! Widmet euch dem Sonstigen, rufe ich also laut und ermutigend, macht daraus die Hauptsache, denn Sonstiges ist die Hauptsache!
Ganz einfach: Wenn ich mir etwas zum Anziehen bestelle, und der tausendfach zentrale Ablehnungsgrund – „sieht sch**** aus“ – wird mit Sonstiges verniedlicht, dann überkommt mich als Kundin eine gewisse Bockigkeit. Sonstiges, das Wort allein klingt schon, als schicke man Ware aus irgendeinem dusseligen Grund zurück, für den niemand im Unternehmen auch nur mäßiges Interesse aufzubringen gewillt ist. Sonstiges, das bedeutet vernachlässigbar. Lohnt sich nicht.
Eine Retoure aus dem wirklichen Leben
DOCH!, sage ich, alle Wahrheit steckt darin, alle wichtige Information! Lieber Herr S.Oliver, streichen Sie das Sonstige und bieten Sie Ihren KundInnen hier Ernstzunehmendes an, mit dem sie sich ernstgenommen fühlen. Falls Ihnen das zu weit geht, dann erweitern Sie die Liste mit den Ziffern wenigstens um einen Punkt. Einen, der sich nicht skalieren lässt, der aber die Wahrheit ungemein besser auf den bewussten Punkt bringt. Nämlich:
16: Gefällt mir nicht. (Dies als etwas dezentere Wiedergabe des von meiner Freundin formulierten Sachverhaltes, Sie wissen schon).
“Gefällt mir nicht” ist ein Satz aus dem wirklichen Leben, wie es sich tagtäglich in wirklichen Geschäften mit wirklichen VerkäuferInnen und wirklichen Umkleidekabinen ereignet. Sagen Frauen dort „Danke, die Hose nehm ich nicht, wegen Sonstiges“?
Nein. Frauen sagen: “Ich nehm die Bluse, aber die Hose gefällt mir nicht.”
Schnell noch eine Prise Salz auf die frische Wunde: Ihre Konkurrenz, die hat das längst verstanden. Bei Zalando gibt es angenehme zehn Rücksendegründe und raten Sie, welcher auf Position 1 thront: „Artikel gefällt nicht“. Sehen Sie! Das ist schlicht, schön und wahrhaftig. (Aber bei Zalando wiederum wehrt man sich gegen Frauen im Vorstand wie unsereins gegen eine Wurzelspitzenresektion; ich hoffe ja schwer, in der Frage sind Sie auf der Höhe der Zeit.)
Machen Sie einfach mal. Man wird Sie lieben!
Gefällt mir nicht: Das würde mir gefallen – und allen wäre gedient. Auch wenn es nur der Anfang ist. „Macht keine gute Figur“ sollten Sie ebenfalls in Erwägung ziehen. Falls Sie in der Frage nicht weiterkommen, dann stelle ich mich gern zur Verfügung, um die Rücksendegründe 01 bis 04 ganz neu, präzise und äußerst lebensnah mit Ihnen zu entwickeln und zu formulieren.
Und glauben Sie mir, man wird Sie dafür LIEBEN, wenn es sie gibt.
Rufen Sie mich gern an. Einstweilen grüßt Sie kreativ und sehr herzlich, aus einem nicht ganz der Norm entsprechenden Körper
Ihre Karen Hartig
(Titelfoto: Sara Kurfeß | unsplash.com)
Kommentare 6
Liebe Karen,
wieder eine Freude Deinen Artikel zu lesen. Auch als männlicher Offline-Klamottenkäufer, – oft komme ich sogar mit einmal pro Jahr aus – erkenne ich, dass gerade das Thema viele Parallelen zum echten Leben aufweist.
Kann es sein, dass wir alle oft Fundamentales in unserem Leben auch unter Sonstiges (ach, nicht so wichtig) abtun?
Gerade ein intensivierter Blick auf „Sonstiges“ könnte so befreiend wirken, nicht nur bei Herrn S. Oliver…
Lieber Ö, genau das ist ein wichtiger Punkt. Oft verhaken wir uns in den „großen Dingen“ und zack, steckt das Glück im „Sonstigen“ – auch so kann es kommen 🙂
Auf bald und viele Grüße!
Liebe Karen,
Ach wie gut, dass du mich selbst mit diesem leidigen Thema „es sah so gut aus, bis ich es anzog“ zum Lachen bringen kannst. Das habe ich heute wirklich gebraucht. Danke dafür. Liebe Grüße Carmen
Danke schön, liebe Carmen. Manchmal geht’s das Lachen mit Worten schneller als mit dem Bleistift, du weißt schon…
Liebe Grüße!
Das Leben in unserer Wegwerfgesellschaft kann so echt nicht mehr weitergehen. Weniger ist mehr. Im Grunde ist nur das was ich nicht kaufe gut für die Umwelt!
Wir sollten auch viel mehr in Secondhand-Läden einkaufen.
Hallo Gabi, weniger ist mehr: richtig. Nachhaltigkeit tut not: unbedingt. In Secondhand-Läden einkaufen ist gut, und das täte ich auch häufiger, gäbe es dort Sachen für meine große Körpergröße…. Viele Grüße!