„Auch meine To-do-Liste wird niemals leer. Dabei liebe ich es, die einzelnen Punkte abzuhaken. Ich liebe das sogar so sehr, dass ich etwas, was ich im Laufe des Tages schon getan habe, ohne dass es auf der Liste stand, extra dazuschreibe, damit ich es gleich abhaken kann und beim Blick auf die Liste noch stolzer bin.“
Mit Bekenntnissen wie diesen kann man mein Herz unmittelbar erobern; auch ich bin zu solch obskuren Handlungen fähig. Verfasst hat es die Biochemikerin Dr. Libby Weaver in ihrem neuen Buch „Das Rushing Woman Syndrom – Was Dauerstress unserer Gesundheit antut“ (erschienen im TRIAS Verlag). Weaver gehört zu den bekanntesten Ernährungsexpertinnen Australiens. Ihr ganzheitlicher Gesundheitsansatz stützt sich auf die drei Säulen Ernährung, Emotionen und Biochemie.
Mit dem Begriff „Rushing Woman Syndrom“ – also das „Immer-in-Eile-Syndrom“ – sind all jene Frauen gemeint, die ständig unter Strom stehen. Die sich aufribbeln zwischen Job, Familie und Freizeit und multitaskend von Termin zu Termin hetzen, sich selbst aber völlig aus dem Blick verlieren. Wer so lebt, steht unter permanentem Dauerstress. Und der kann reichlich Schaden anrichten, wenn der Hormonhaushalt aus dem Gleichgewicht gerät.
Wie genau sich der Dauerlauf im Hamsterrad auf das Seelenleben auswirkt und welche gesundheitsschädigenden biochemischen und hormonellen Prozesse er im Körper auslöst, beschreibt die Autorin auf 280 Seiten präzise, sehr lebensnah und ebenso empathisch. Im Anschluss geht sie ausführlich darauf ein, wie frau dem entgegenwirken kann.
Dauerstress bringt die Hormone aus der Balance
Zum Auftakt gibt es einen unkomplizierten Selbsttest: Gehört man nun zum Club der Dauergestressten oder nicht? Eine wichtige Frage, zumal wenn die Verdauung Probleme bereitet und der Zyklus zickt, wenn PMS, Übergewicht und Reizdarmsymptome den Alltag beeinträchtigen.
Viele Frauen haben keine Ahnung, wie sie das mit dem „Runterkommen“ machen sollen. Ich erkläre ihnen dann, dass es nur darum geht, „zu sein“ anstatt etwas „zu tun“. (…) Aus diesem Grund heißt „Mensch“ auf Englisch „human being“ und nicht „human doing“.Libby Weaver
Im umfangreichsten Kapitel („Das endokrine System“) werden die wichtigsten wissenschaftlichen Grundlagen erklärt. Auf gut verständliche Art erfährt man, welche Faktoren eine hormonelle Schieflage erzeugen. Sie wollten immer schon wissen, wieso Diäten unter Stress nichts nützen, warum Sie manchmal abends drei Kilo mehr wiegen als morgens und weshalb Sie meist erst nach dem dritten Kaffee wachwerden? In diesem Kapitel gibt die Autorin Antwort auf so ziemlich jede Frage, die Frauen sich im Zusammenhang mit ihrem Körper stellen können.
Das letzte Kapitel liefert dann zahlreiche Strategien, Vorschläge und Tipps, um von Hetze auf Gelassenheit umzuschalten. Weaver wäre nicht Weaver, würde sie ihre Leserinnen nicht auf sympathische Weise und mit dem kleinstmöglichen Schritt entlassen: „Das alles ist Ihnen viel zu viel und klingt nach der nächsten To-do-Liste, die Sie auch niemals abhaken können? Dann fangen Sie mit genau zwei Maßnahmen an: langsame, tiefe Zwerchfellatmung und Koffeinpause.“ Okay, Deal!
Zigaretten kommen in diesem Ratgeber übrigens mit keinem Wort zur Sprache. Was daran liegen mag, dass in Australien eine rigorose Antitabakpolitik betrieben wird; ein Päckchen Zigaretten kostet etwa 20 Euro.
Rushing Woman: vom To-do zum To-enjoy
„Rushing Woman Syndrom“ ist ein fundiert und dazu flott geschriebener Ratgeber, in dem viele Frauen mit diffusen körperlichen Stresssymptomen fündig werden dürften. Dass eine gesunde Ernährung, genügend Schlaf und Bewegung der Gesundheit förderlich sind, hat man ja schon mal gelesen. Aber die Querverbindung zur weiblichen Biochemie mit den zahlreichen daran andockenden Lösungsansätzen ergibt ein hochinteressantes, überzeugendes Konzept. Dieses eröffnet ganz neue Wege vom To-do zum To-enjoy. Da lässt sich über gelegentliche Ausreißerchen wie „Stellen Sie sich vor, das silbrige Mondlicht fiele bis in Ihre Eierstöcke und ließe diese aufleuchten“ leicht hinwegsehen.
Drei kleinere Punkte bemängele ich: Zum einen stört der mehrfache Einschub von bereits anderweitig erschienenen Artikeln, hier entstehen Brüche und unnötige inhaltliche Wiederholungen. Zum anderen lüftet Weaver im letzten Drittel des Buches kurz mal den Deckel der klassischen „Väter-Töchter-Kiste“ – und schließt ihn alsbald wieder. Diese Passage hätte mehr Tiefe vertragen. Drittens fehlt mir ein ausführliches Quellenverzeichnis.
Und jetzt interessiert mich natürlich Ihre Meinung! Folgende Aussage im Buch hat mich länger beschäftigt: „Ich stelle das jetzt provokativ in den Raum: Das Dauerstress-Syndrom der Frauen ergibt sich aus dem unablässigen Streben danach, sich nie zurückgewiesen zu fühlen.“
Ein Klischee, oder ist da etwas Wahres dran? Was halten Sie von dieser Aussage? Schreiben Sie mir sehr gern einen Kommentar 🙂
Auf bald, ich wünsche Ihnen eine schöne Urlaubszeit – und vielleicht ist „Rushing Woman“ ja genau das richtige Buch für den Liegestuhl!
Herzliche Grüße
Ihre Karen Hartig
(Titelfoto: B_Me/pixabay.com)
Dr. Libby Weaver: Das Rushing Woman Syndrom. Was Dauerstress unserer Gesundheit antut. TRIAS Verlag, Stuttgart 2017. ISBN 9783432104331 (EUR 19,99). Meine Bewertung:
Kommentare 4
danke für die fahrtlektüre! büchertipps, nicht nur für den urlaub – gute idee!
ob es eine sommersonnenliegelektüre ist, weiß ich nicht – dann vielleicht die einzige stunde, wo frau nicht weiter an selbstoptimierung arbeiten will?
aber ich will gerne auf die frage antworten: immer am tun, aus angst vor zurückweisung? diese begründung begegnet mir ebenso oft, wie die nach innerer leere. ich füge eine weitere hinzu, die mich in rush- oder rage bringt (und wir wissen, was das in meinem körper für physische folgen angerichtet hat): der (irr)glaube, es tut ja sonst keiner!
diese ungeduld, ja unfähigkeit, aushalten zu können (da tut mir schon nur von der formulierung der rücken weh), – also *ohm* annehmen zu können, dass die welt nicht untergeht, wenn dieses und jenes und das vierte, fünfte und einhundertzweiundzwanzigste nicht sofort oder umgehend oder wenigstens ganz sicher von mir erledigt wird.
in konfrontation mit der eigenen sterblichkeit wird mir immer klarer, dass genau dieses aber eben auch schicksal (des human beeing) ist. dass nicht alle dinge, gefühlt „dran“ wären, getan werden können, dass es unmöglich ist… und versuche mit dem alter mehr ruhe und gelassenheit zu entwickeln ;- )
ob s gelingt?
und wie werde ich mich damit auch (physisch; vom hormonhaushalt her etc.) ändern?
es bleibt spannend
und danke, dass Du mir immer wieder dinge zum nachdenken schickst!
Liebe Kaboo, es ist nachgerade schändlich!, dass ich noch nicht dazu gekommen bin, Deinen ausführlichen Kommentar zu beantworten. Ja, die Sache mit der Selbstoptimierung kann man wohl so sehen – wiewohl ich vom Gegenteil ausging: herumlümmeln und herunterschalten und das „Zuviel“ rausschmeißen bzw. herausfinden, welches Zuviel nun wirklich zu viel ist… Und genau so ist es: Die Welt wird nicht überleben, weil wir den 25. Punkt auf der Liste geschafft haben, sondern vielleicht einfach, weil… wir „ist doch egal“ gesagt haben 🙂
Ich bin zwar „nur ein Mann“, aber deshalb an „weiblichen Themen“ nicht uninteressiert. Die Rezension veranlasst mich, das Buch zu kaufen. Insbesondere ein Statement finde ich beachtenswert: „Ich stelle das jetzt provokativ in den Raum: Das Dauerstress-Syndrom der Frauen ergibt sich aus dem unablässigen Streben danach, sich nie zurückgewiesen zu fühlen.“
Danke für den Hinweis auf dieses Buch.
Lieber Hotte,
danke für Ihr Interesse, allerdings kann ich Ihnen kaum glauben, dass Sie „nur“ ein Mann sind – wer hier schreibt, ist alles, nur kein „nur“ 🙂 Viele Grüße, und bleiben Sie uns gewogen!